Genom-editierte Nutzpflanzen

Weizen-Sprösslinge

Text: Philipp Graf

Mit der Genschere CRISPR-Cas lässt sich das Erbgut von Pflanzen gezielt verändern. Das eröffnet Chancen für die beschleunigte Züchtung von Nutzpflanzen für eine nachhaltige Landwirtschaft und eine gesunde Ernährung. Dieses Dossier beleuchtet Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und wie sich die Regulierung genom-editierter Pflanzen gestaltet. Dossier-Update!

Die Werkzeugkiste der Genom-Editierung

Mittels Genom-Editierung lässt sich das Erbgut von Nutzpflanzen so gezielt bearbeiten wie nie zuvor. Ein Präzisionswerkzeug von besonderer Bedeutung für die Pflanzenforschung und die Züchtung ist die „Genschere“ CRISPR-Cas. Die Entdeckung dieses Systems wurde 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Gemäß einem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 werden genom-editierte Pflanzen in Europa als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft. Doch aus Wissenschaft und Wirtschaft regt sich zunehmend Kritik. Dieser Trendbericht gibt einen Überblick über die Debatte.

Der Begriff Genom-Editierung bezeichnet Verfahren, mit denen sich Erbinformation in lebenden Pflanzenzellen gezielt verändern lässt. Als molekulargenetische Spezialwerkzeuge kommen hierbei meist spezielle Enzyme zum Einsatz – die sogenannten Designer-Nukleasen. Es handelt es sich um „zielgerichtete Genscheren“. Dazu zählen zum Beispiel Systeme wie die Zinkfinger-Nukleasen (ZFN), TALEN oder die sogenannten Homing-Endonukleasen.

In den vergangenen Jahren hat aber besonders ein Genom-Editierungssystem die Molekularbiologie revolutioniert: CRISPR-Cas. Dieses System, das die inzwischen nobelpreisgekrönten Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna als Teil einer Art Immunsystem in Bakterien für die biotechnologische Anwendung nutzbar gemacht haben, besteht aus zwei Komponenten: einer DNA-Sequenz-Aufspür-Einheit und einer Schneidefunktion. Die Schere kann mithilfe einer Erkennungssequenz darauf programmiert werden, ein bestimmtes Ziel im Genom von Organismen anzusteuern und dort einen Schnitt zu setzen. In Kombination mit zelleigenen Reparaturmechanismen entsteht in der Folge dann eine Sequenzveränderung im Genom.

Video: CRISPR-Cas9 - wie die Genschere funktioniert

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In einem anderen Themendossier auf bioökonomie.de haben wir bereits die Werkzeug-Palette der Pflanzenzüchtung vorgestellt. Hier soll nun stärker beleuchtet werden, wie vielseitig man insbesondere das CRISPR-Cas-System mittlerweile als Werkzeug einsetzen kann, um genetische Veränderungen mit hoher Präzision und Effizienz herbeizuführen.

Wie sich CRISPR-Cas als Werkzeug einsetzen lässt

Gezielt Mutationen auslösen: Eine Mutation ist eine dauerhafte Veränderung der Erbinformation. Sie entsteht, wenn an einer Stelle der DNA-Sequenz Bausteine ausgetauscht werden, eingesetzt werden oder verloren gehen. Mit CRISPR-Cas lässt sich praktisch an jeder Stelle des Genoms von lebenden Zellen eine gezielte Mutation hervorrufen. Dies erreicht man, indem man an einer definierten Stelle einen einzigen Schnitt setzt, also mittels CRISPR-Cas einen Doppelstrangbruch in der DNA des jeweiligen Gens verursacht. Der Bruch wird dann wie andere Erbgut-Schäden mit den zelleigenen Mechanismen von der Pflanzenzelle repariert. Da die Reparatur immer wieder auch fehlerhaft verläuft, kann dies zur Zerstörung der betroffenen Genfunktion führen. Solche Knock-out-Mutationen sind zurzeit die häufigste Anwendung, um einzelne Gene, die für bestimmte unerwünschte Eigenschaften in der Pflanzenzüchtung verantwortlich sind, auszuschalten. Diese Werkzeuge können auch dazu genutzt werden, um Punktmutationen (Austausch eines einzelnen DNA-Bausteins) oder eine Deletion (Verlust von DNA-Bausteinen) zu erzeugen. Es werden in diesem Prozess keine zusätzlichen, fremden DNA-Abschnitte eingebaut. Eine weitere Besonderheit: Durch eine Anpassung der Technik kann man mehrere solcher gezielten Eingriffe in einem Versuchsschritt vornehmen.

Gezielt DNA-Abschnitte einfügen: Daneben gibt es mithilfe von CRISPR-Cas auch die Möglichkeit, gezielt fremde DNA an spezifischen Stellen des Genoms zu integrieren. Dabei bedient man sich ebenfalls der zelleigenen Reparaturmechanismen. Hierzu muss man zunächst fremde DNA-Abschnitte, die mehrere Tausend Basenpaare lang sein können, in die Zelle einschleusen. Wichtig ist, dass diese die Sequenz der Spaltungsstelle enthalten. Das führt dazu, dass der fremde DNA-Abschnitt bei der Reparatur des Doppelstrangbruchs an der ausgewählten Stelle ins Genom eingebaut wird. Man kann mit diesem Ansatz ein Gen durch eine andere Version desselben Gens ersetzen. Oder größere DNA-Abschnitte oder ganze Gene an einer gewünschten Stelle einfügen. Stammt das eingefügte DNA-Stück von derselben oder einer eng verwandten Art, so spricht man von Cisgen. Handelt es sich um einen artfremden DNA-Abschnitt, so wird dieses als Transgen bezeichnet.

CRISPR-Cas-System wird weiterentwickelt

In rasantem Tempo entwickeln Forschende das CRISPR-Cas-System weiter. Für den Ansatz des sogenannten Base Editing wurde zum Beispiel die Schneidefunktion von CRISPR-Cas deaktiviert, stattdessen ist das Designer-Enzym in der Lage, gezielt DNA-Basen chemisch zu verändern. Damit lassen sich Veränderungen einbringen, ohne dass die zelleigene DNA-Reparatur in Aktion treten muss.

Das Prime Editing ist ebenfalls eine verbesserte Variante des CRISPR-Cas-Systems: Die doppelsträngige DNA wird nur an einem Strang gezielt geschnitten und dadurch in der Folge effizienter repariert. Mittlerweile kann man CRISPR-Cas auch dazu einsetzen, die Aktivität von Genen gezielt zu regulieren – etwa um die Produktion von Proteinen anzukurbeln oder zu drosseln. Mit der wachsenden Vielfalt der CRISPR-Cas-Systeme ist damit eine große Bandbreite an Veränderungen möglich – von punktuellen bis hin zu größeren Umbauten.

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Wie erkennt man eine genom-editierte Pflanze?

CRISPR-Cas setzt zielgerichtet Schnitte im Erbgut und löst damit Mutationen aus. Doch hinterlassen die Genscheren nach getaner Arbeit weitere Spuren im Erbgut von Pflanzen? Unterscheiden sich per CRISPR-Cas ausgelöste genetische Veränderungen von anderen Verfahren und natürlichen Vorgängen? Diese Fragen stehen aktuell im Zentrum der Forschung und der Debatte über den Umgang mit genom-editierten Nutzpflanzen.

Unterscheiden sich per CRISPR-Cas ausgelöste genetische Veränderungen von natürlichen Vorgängen?

Es gibt mehrere Schritte, die bei der Anwendung der CRISPR-Cas-Technologie in lebenden Pflanzenzellen Hinweise darauf geben könnten, ob eine Pflanze genom-editiert ist oder nicht. Hier setzen Forschende derzeit an, um potenzielle Nachweisverfahren zu entwickeln. Diese Forschungsarbeiten stellen auch die Grundlage dar, um die Genom-Editierung weiter zu optimieren:

Schritt 1: CRISPR-Cas in die Zelle schleusen

Die molekularen Baupläne für die Genom-Editierungsmaschine müssen an den Einsatzort ins Zellinnere gelangen, um wirksam zu werden. Pflanzenforscher lösen das derzeit noch vielfach mit transgenen Verfahren. Hierbei werden die Baupläne mithilfe von Genfähren in Pflanzenzellen eingeschleust. Es gelangt also fremde Erbinformation in Form von DNA-Ringen (Plasmiden) in die Pflanzenzellen. Dort wird das CRISPR-Cas-System durch die Proteinsynthese-Maschinerie der Zelle zusammengebaut und es wird dann aktiv. Es setzt einen Schnitt in der DNA, dann wird das Designer-Enzym vom Zellstoffwechsel wieder abgebaut.

Um auch die Transgene in einer genom-editierten Pflanze zu entfernen, wird sie dann über viele Generationen mit anderen transgenfreien Pflanzen gekreuzt. Um nachzuweisen, dass eine Pflanze nach zahlreichen Kreuzungen keinerlei fremde DNA-Sequenzen mehr enthält, kommt unter anderem die DNA-Sequenzierung zum Einsatz.

Vielfach wird an Methoden für eine von vornherein transgenfreie Genom-Editierung geforscht. Beispielsweise wird der Ansatz verfolgt, die Schlüsselkomponenten von CRISPR-Cas9 nicht auf Basis von Fremd-DNA durch die Pflanzenzelle selbst, sondern als Enzym-RNA-Komplex im Reaktionsgefäß im Labor herzustellen. Diese Komplexe können dann in die Zellen eingeschleust werden. Das kann zum Beispiel mithilfe von Laserimpulsen geschehen. So hinterlässt das System keine Fremd-DNA in der Pflanzenzelle.

Schritt 2: Die Genschere in Aktion in der Zelle

Nachdem die DNA einer Pflanzenzelle erfolgreich per Genom-Editierung bearbeitet wurde, weist ihr Erbgut an definierten Stellen eine Mutation auf. Ob Punktmutation oder Deletion – wie die Mutation aussieht, lässt sich heute einfach und schnell mittels einer DNA-Sequenzierung ermitteln, wenn die Art der Veränderung bekannt ist. Doch die DNA-Sequenz liefert keine Antwort auf die Frage: Auf welche Weise ist die Veränderung in der Erbsubstanz zustande gekommen? 

Denn Mutationen entstehen auch von Natur aus im Erbgut. Die Rate spontaner Mutationen ist in Nutzpflanzen, die oft über riesige Genome verfügen, sogar überraschend hoch. Die Zahl der natürlichen spontanen Mutationen in einer Generation, die etwa im Genom einer Weizen-Pflanze auftreten, wird auf 69 geschätzt, bei Mais auf 32 (Positionspapier der Max-Planck-Gesellschaft, S.8). So ist eine auf einem Feld stehende Population von Nutzpflanzen niemals identisch, weil sie sich aus einzelnen sich entwickelnden und Mutationen ausgesetzten Individuen besteht.

Per Genom-Editierung ausgelöste einfache Veränderungen wie Punktmutationen oder Deletionen unterscheiden sich nicht von Mutationen, die von Natur aus im Erbgut entstehen oder die durch konventionelle Züchtungsmethoden entstanden sind. Anders als bei klassischen Gentechnikverfahren wird bei den meisten Genom-Editierungs-Ansätzen keine artfremde Erbsubstanz (Fremd-DNA) in das Genom der Pflanzen eingebaut.

Raps-CRISPR-Mutagenese
Regeneration von Rapssprossen in der Petrischale nach CRISPR-Cas-Mutagenese. Aus den Gewebekulturen können komplette Pflanzen regeneriert werden.

Genom-editierte Mutationen nicht von natürlich entstandenen unterscheidbar. 

Ob es sich um eine natürliche, zufällig entstandene Mutation handelt, ob sie auf konventionelle Züchtung zurückgeht oder gezielt im Labor editiert wurde, ist nach aktuellem Wissenstand nicht zu unterscheiden.
Es gibt bis dato keinen sicheren Nachweis dafür, wie eine neue Mutation in einer Pflanze zustande gekommen ist. Das unterstreicht unter anderem ein im Jahr 2019 veröffentlichter Bericht des Joint Research Centers der EU-Kommission und des European Network of GMO Laboratories (ENGL). Eine durch Genom-Editierung eingeführte Mutation ist – so das Fazit – bisher nur durch eine umfassende Dokumentation seitens der Pflanzenzüchter zu belegen.

Hinterlassen die Genscheren Spuren im Erbgut von Pflanzen?

Zusätzlichen Schnitten im Erbgut auf der Spur

Manchmal führen irrtümliche, nicht beabsichtigte Schnitte der Genschere zu den sogenannten Off-Target-Effekten. Dabei kommt es zu einer ungewollten Veränderung der DNA an Stellen im Genom, die nicht der Zielposition entsprechen. Oft liegt dies daran, dass der ungewollt veränderte Abschnitt nur wenige DNA-Basenpaare lang ist und eine große Ähnlichkeit mit der Zielregion aufweist. Inzwischen wurden verbesserte CRISPR-Cas-Systeme entwickelt, bei denen die Anzahl ungewollter Schnitte stark reduziert ist.

Durch moderne Sequenzierungstechniken ist es relativ einfach zu prüfen, ob Off-Target-Effekte auftreten. Man kann so nur solche Pflanzen für die weitere Züchtung auswählen, bei denen ungewollte Schnitte nicht aufgetreten sind. Im Gegensatz zu medizinischen Anwendungen ist das für Pflanzenzüchter jedoch eher von sekundärer Bedeutung. Denn die Pflanzenzüchter kreuzen in der Regel unerwünschte Mutationen über etliche Pflanzen-Generationen aus dem Erbgut heraus, bevor sie eine Sorte zur Prüfung durch die Behörden einreichen.

Gezielte und ungezielte Mutagenese im Vergleich

Aufgrund der hohen Rate spontaner, natürlich auftretender Mutationen würde aus Sicht von Forschenden die Einführung einer definierten, künstlich erzeugten Punktmutation die Gesamtmutationsrate kaum erhöhen. Klassische Mutagenese-Verfahren, bei denen Chemikalien oder Strahlung zum Einsatz kommen, erzeugen hingegen Tausende Mutationen zufällig über das gesamte Erbgut hinweg (mehr zu den Mutageneseverfahren in diesem Themendossier).

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Bedeutung für die Landwirtschaft der Zukunft

Die Nahrungsmittelproduktion in der Landwirtschaft oder anders formuliert – unsere Agrar- und Ernährungssysteme – stehen vor einer komplexen Vielfalt an Herausforderungen. Neben der wachsenden Weltbevölkerung ist die voranschreitende Urbanisierung ein zentraler Faktor der globalen Entwicklung, auch die Konsummuster verändern sich. Diese Entwicklung trifft zusammen mit den Auswirkungen des Klimawandels, der zunehmenden Verknappung lebenswichtiger Ressourcen und dem Verlust an Biodiversität. Die heutige Agrarproduktion ist dabei vielfach von hohem Flächen- und Ressourcenverbrauch geprägt und verursacht hohe Emissionen. Vor diesem Hintergrund müssen unsere Agrarsysteme klimafreundlicher werden. Gleichzeitig sollten sie – ohne weitreichende Produktivitätsverluste – mit den existenten sowie kommenden Klimaveränderungen zurechtkommen.

Agrar- und Ernährungssysteme nachhaltig gestalten

Als Antwort auf die zunehmend komplexer werdenden globalen Herausforderungen haben die Vereinten Nationen im Jahr 2015 die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung veröffentlicht. Unter den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDGs) ist das SDG 2 zur Ernährungssicherheit von besonderer Bedeutung, aber auch andere SDGs sind für die Transformation des globalen Agrar- und Ernährungssystems in Richtung Nachhaltigkeit relevant.

Mit dem European Green Deal verfolgt die EU-Kommission das Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen und nachhaltigen Kontinent zu machen. Ziel ist es, Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung zu entkoppeln. Um die Landwirtschaft nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten, hat die Europäische Kommission im Rahmen des Green Deal die Farm-to-Fork-Strategie („Vom Hof auf den Tisch“) veröffentlicht. Sie betont die Wichtigkeit eines fairen, gesunden und umweltfreundlichen Ernährungssystems. In der Strategie werden neue Technologien, einschließlich der Biotechnologie, als mögliches Instrument zur Verbesserung der Nachhaltigkeit der Agrar- und Lebensmittelsysteme und zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit genannt, solange sie für Verbraucher und die Umwelt unbedenklich sind und der Gesellschaft als Ganzes Vorteile bringen. Auch zu anderen EU-Strategien wie der Bioökonomie-Strategie oder zur Strategie für die Anpassung an den Klimawandel können neue Züchtungstechniken beitragen.

Erklärvideo: Mit CRISPR-Cas Pflanzen züchten

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Moderne Pflanzenzüchtung liefert wichtigen Beitrag

Insbesondere die Wissenschaft ist zuversichtlich, dass Fortschritte in Züchtung und Biotechnologie ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Unter- und Mangelernährung, zur nachhaltigen Erzeugung gesünderer und nährstoffreicherer Lebensmittel und zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel sind. Denn die neuen Züchtungstechniken – und damit die Genom-Editierung – bieten zwei entscheidende Vorteile gegenüber herkömmlichen Züchtungsmethoden: Schnelligkeit und Präzision. So können die neuen Technologien einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und zur Züchtung neuer Pflanzensorten leisten, die zu einer gesünderen Ernährung beitragen und widerstandsfähiger gegen den Klimawandel sind.

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Globale Anwendungsbeispiele und Marktentwicklungen

Mithilfe molekularer Züchtungsverfahren wie CRISPR-Cas kann die Landwirtschaft in kürzerer Zeit als mit herkömmlichen Methoden nicht nur produktiver, sondern auch pestizidärmer oder pestizidfrei werden. Nutzpflanzen können durch Merkmale wie Trocken- und Hitzetoleranz besser an die Folgen des Klimawandels angepasst werden. Zudem wird durch das Werkzeug der Genom-Editierung eine größere Pflanzenvielfalt züchterisch erschließbar – was im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft und einer gesunden Ernährung ist.

Das Ausschalten oder Regulieren der Aktivität von einzelnen Genen mittels Genom-Editierung kann für die Landwirtschaft zu einer ganzen Reihe von neuen oder attraktiven Eigenschaften führen. Molekulare Züchtungsverfahren ermöglichen die schnelle Erzeugung von Einzel- und Mehrfachmutanten. Auch Nicht-Modellorganismen und Pflanzen mit polyploidem Genom (also Erbgut mit mehreren Chromosomensätzen) werden für Züchtungsexperimente zugänglich. So gelingen methodisch einfache aber züchterisch gewünschte und dringend benötigte Fortschritte in Nutzpflanzen wie hexaploidem Weizen (siehe Kapitel Pflanzenzüchtungsforschung in Deutschland).

Genom-editierte Nutzpflanzen in der Pipeline

Die Genom-Editierung hat sich rasant in den Laboren der Pflanzenzüchtungsforschung und der Züchtungsunternehmen weltweit etabliert. Mehr als 500 Produkte sind weltweit in den Pipelines für Forschung und Entwicklung. Neben Hauptfeldfrüchten wie Reis, Mais und Weizen wird die Genom-Editierung inzwischen auch in vielen andere Kulturarten wie Kartoffel, Maniok, Banane, Tomate, Kakao und Luzerne angewandt.

Folgende Merkmale stehen im Fokus der Züchtungsaktivitäten:

  • Resistenz gegen biotischen Stress, insbesondere Pilzkrankheiten, um den Einsatz von Pestiziden zu senken
  • Resistenz gegen abiotischen Stress, etwa gegen Trockenheit, um klimaangepasste Pflanzen zu entwickeln
  • Verbesserte agronomische Eigenschaften, um die Produktivität zu erhöhen (z. B. Ertrag und Blühzeitpunkt), die Betriebsmitteleinsätze zu verringern und Ernteverluste zu vermeiden
  • Verbesserte Nahrungs- und Futtermittelqualität (Nährstoffzusammensetzung, weniger Allergene)

Welche genom-editierten Nutz- und Zierpflanzen es schon gibt, zeigt eine Studie des Julius Kühn-Institut in Quedlinburg, die im Rahmen des BMBF geförderten Projekts ELSA-GEA entstanden ist. Die Dialogplattform Progressive Agrarwende hat mit der CRISPR-Bibliothek eine Datenbank entwickelt, die die Recherche von genom-editierten Nutzpflanzen gezielt nach Zuchtzielen, Pflanzenart oder Herkunftsland ermöglicht. Die Datenbank von EU-SAGE verzeichnet genom-editierte Nutzpflanzenprojekte auf der ganzen Welt.

Marktentwicklungen außerhalb Europas

Genom-editierte Nutzpflanzen als Produkte der Neuen Züchtungstechniken sind, soweit sie ohne das Einbringen fremden Genmaterials auskommen, nicht unterscheidbar von Produkten herkömmlicher Züchtung. Dennoch werden sie nach dem Gentechnikrecht in der EU bisher genauso streng reguliert wie klassische gentechnisch veränderte Organismen (GVO) (mehr dazu in den folgenden Kapiteln).

Viele Staaten weltweit, darunter die großen Agrarnationen, haben sich jedoch entschieden, neue, durch Genom-Editierung erzeugte Pflanzen vielfach nicht wie herkömmliche GVO zu regulieren. Dazu zählen die USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, Australien, Japan, China und das Vereinigte Königreich. Sie haben wissenschaftlich fundierte, innovationsorientierte rechtliche Rahmenbedingungen für sogenannte NGT-Pflanzen (NGT steht für Neue Genomische Techniken) eingeführt.

Der Grund für eine vereinfachte Regulierung oder Nichtregulierung liegt zusammengefasst darin, dass in den Pflanzen keine Fremd-DNA dauerhaft in das Erbgut integriert ist und die genetische Veränderung auch von Natur aus oder mittels konventioneller Züchtung hätte entstehen können. Genom-editierte Pflanzen sind hier also nicht nur für Feldversuche, sondern auch für den kommerziellen Anbau zugelassen, und werden entsprechend vermarktet. Die folgende Tabelle listet eine Auswahl von genom-editierten Nutzpflanzen auf, die bereits zugelassen und/oder vermarktet werden:

Pflanze Merkmal Technik Marktstatus Unternehmen
Mais Veränderte Stärkezusammensetzung: Durch Mutation im GBSSI-Gen enthält der waxy-Mais ausschließlich Amylopektin-Stärke. Das erleichtert bestimmte Anwendungen in der Lebensmittelherstellung (Stabilisator, Dickungsmittel) sowie in der Papier- und Textilherstellung. CRISPR-Cas Zugelassen in den USA (2021) und Japan (2023) Corteva
Tomate Erhöhter Gehalt an GABA (Gamma-Aminobuttersäure) durch Knock-out-Mutation im Gen GAD3. GABA hat eine potenziell blutdrucksenkende Wirkung, der Effekt durch Verzehr der Silician Rouge High GABA Tomaten ist bislang aber nicht durch klinische Studien belegt. CRISPR-Cas Zugelassen seit 2021 in Japan, die Tomaten werden im Handel gekennzeichnet Sanatech Seed
Soja Verbesserte Fettsäurezusammensetzung: Durch Mutation in den Genen FAD2-1A und FAD2-1B entstehen weniger gesättigte Fettsäuren und mehr Ölsäure, eine einfach ungesättigte Fettsäure, die gesundheitlich wertvoller ist. Das gewonnene Speiseöl ist besser zum Braten und Frittieren geeignet. TALEN Zugelassen in den USA (2019) und China (2023) Calyxt
Senfgrün Reduzierte Schärfe: Durch Knock-out des Myrosinase-Gens wird der scharfe Geschmack von grünen Senfblättern verringert. Die Blätter können nun direkt verzehrt werden und müssen nicht mehr vorher gekocht werden. CRISPR-Cas Zugelassen in den USA seit 2022, seit 2023 auf dem Markt Pairwise Plant Services
Salat Langsamere Braunfärbung: im Salat ist ein Gen ausgeschaltet worden, das die enzymatische Oxidation steuert, eine chemische Reaktion bei Verletzung oder Alterung von Zellen. Der editierte Salat bleibt länger frisch und wird weniger schnell braun. Dadurch entstehen weniger Lebensmittelabfälle CRISPR-Cas Zugelassen in den USA, seit 2023 auf dem Markt Intrexon/Green Venus

 

Quelle: Tuncel et al: Genome-edited foods, Nature Reviews Bioengineering, November 2023, S.799-816; transgen.de; eigene Recherchen

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Pflanzenzüchtungsforschung in Deutschland

Sowohl in Wissenschaft und Wirtschaft wurden und werden hierzulande die Weichen gestellt für eine Pflanzenzüchtungsforschung, die neben anderen Werkzeugen auch die Genom-Editierung einsetzt, um zu leistungsstarken und klimaangepassten Nutzpflanzensorten zu gelangen.

Förderung der Pflanzenzüchtungsforschung

In der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation der Bundesregierung, die federführend durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erarbeitet wurde, werden die Chancen Neuer Züchtungstechniken auf dem Weg zu resilienten und nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystemen betont.

Im Oktober 2023 startete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine Forschungsoffensive, um die Züchtung klimaangepasster und leistungsstarker Nutzpflanzen voranzutreiben. Mit der Fördermaßnahme „Moderne Züchtungsforschung für klima- und standortangepasste Nutzpflanzen von morgen“ werden Verbünde und Nachwuchsgruppen unterstützt, die das gesamte Spektrum moderner Züchtungstechniken einsetzen – inklusive Genom-Editierung.

Im Fokus steht die Züchtung von Nutzpflanzensorten, die den biotischen und abiotischen Folgen der Klimaveränderungen trotzen können und zugleich stabile Erträge sichern und damit zukünftig die Versorgung mit hochwertigen, gesunden und sicheren Nahrungsmitteln gewährleisten können. Weitere Ziele neben der Klima- und Standortanpassung ist die Erzeugung innovativer Nutzpflanzen, deren Entwicklungszeiten signifikant verkürzt sind und die zu einer umwelt- und ressourcenschonenden Erhaltung der Flächenproduktivität beitragen. Dabei gilt es, die vorhandenen genetischen Ressourcen zu bewahren, umfassend zu nutzen und signifikant zu erweitern, sowohl durch ein breites Sortenspektrum als auch durch neue Kulturarten, inklusive bisher wenig genutzter Sonder- und Nischenkulturen (mehr Informationen gibt es hier).

Pflanzen aus dem PILTON
Genom-editierte Weizenpflanzen aus der deutschen Pflanzenzüchtungsallianz PILTON. Das Ziel: Mithilfe von CRISPR-Cas mehrfach pilztolerante Sorten entwickeln.

Pflanzenzüchtungsallianzen in Deutschland

Bereits im September 2020 haben sich in dem Konsortium namens PILTON (Pilztoleranz von Weizen mittels neuer Züchtungsmethoden) 55 überwiegend mittelständische Pflanzenzüchtungsunternehmen aus Deutschland zusammengetan, um mithilfe von CRISPR-Cas mehrfach pilztolerante Weizensorten zu züchten. Initiiert wurde das Projekt von der GFPi, einer auf Forschungsfragen spezialisierten Schwesterorganisation des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Der BDP begleitet das Projekt kommunikativ.

Um den direkten Nutzen der Genom-Editierung zu demonstrieren, soll im Projekt eine dauerhafte und simultane Toleranz von Weizen gegen diverse Pilzkrankheiten erreicht werden. Im Fokus der Arbeiten stehen die Pflanzenkrankheiten Braunrost, Gelbrost, Septoria und Fusarium. Die molekularen Grundlagen des Projekts betreffen die natürlichen, durch Pathogene induzierbaren Verteidigungsreaktionen der Weizenpflanze. Einmal aktiviert, wird die biologische Pathogenabwehr nach einiger Zeit durch negative Regulatoren abgeschaltet.

Bei den genom-editierten Weizenpflanzen ist dieser negative Regulator im Rahmen von PILTON gezielt inaktiviert worden. Das soll zu einer verlängerten Ausprägung der natürlichen Pathogenabwehr führen. Wie der BDP berichtet, wurde das Konzept im Sommerweizen in den Jahren 2021 und 2022 bereits erfolgreich erprobt (Proof-of-concept). Die gewonnenen Erkenntnisse sollen nun auf den wirtschaftlich noch bedeutenderen Winterweizen übertragen werden.

Das überregionale Zentrum für Translationale Pflanzenbiodiversitätsforschung (TRANSCEND) ist eine Initiative des nordrhein-westfälischen Exzellenzclusters für Pflanzenwissenschaften (CEPLAS) und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Im Juni 2023 gegründet setzt die Forschungsallianz unter anderem auf die Genom-Editierung, um die Pflanzenzüchtung zu beschleunigen und umweltfreundliche Konzepte für Pflanzenschutz und -ernährung zu entwickeln.

Im Biopioniere-Porträt: Robert Hoffie – Der Gerstenkönner

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Die Rechtslage: Das EuGH-Urteil von 2018

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 ein Urteil gesprochen, das für Diskussionsstoff auf internationaler und nationaler Ebene gesorgt hat. Demnach sind sämtliche durch Mutagenese gewonnene Organismen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) anzusehen und fallen grundsätzlich unter die strenge Regulierung der europäischen Freisetzungsrichtlinie für gentechnisch veränderte Organismen (GVO-Richtlinie).

Die drei Türme des EuGH in Luxemburg
Gebäudekomplex des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg.

Das gilt auch für die gezielte Mutagenese durch die neue Genschere CRISPR-Cas und andere Werkzeuge der Genom-Editierung, mit denen sich das Erbgut von Organismen viel gezielter als bisher verändern lässt. Die Anwendung der neuen Mutagenese-Verfahren birgt nach Ansicht des EuGH vergleichbare Risiken wie die Erzeugung transgener Pflanzen, bei denen fremde Erbsubstanz ins Genom von Organismen eingeschleust wird (siehe auch Dossier zu Werkzeugen der Pflanzenzüchtung). Die neuen Züchtungsverfahren wie die Genom-Editierung von der Gentechnik-Regulierung auszunehmen, laufe dem Vorsorgeprinzip zuwider.

Anders verhalte es sich bei klassischen Mutagenese-Verfahren – etwa ionisierende Strahlung oder erbgutverändernde Chemikalien: Ihre Anwendung gelte seit Langem als sicher, so das Gericht. Den Mitgliedstaaten stehe „es allerdings frei, derartige Organismen (...) den in der GVO-Richtlinie vorgesehen Verpflichtungen zu unterwerfen“. Aus Sicht des EuGH ist der Einsatz von CRISPR-Cas in Pflanzen eine gentechnische Veränderung und deshalb müssen alle mit dieser Methode gezüchteten Pflanzen entsprechend der GVO-Richtlinie gekennzeichnet und reguliert werden.

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Positionen von Wissenschaft, Wirtschaft sowie Zivilgesellschaft

Das Urteil des EuGH hatte bereits im Sommer 2018 ein geteiltes Echo hervorgerufen. Während die Umwelt- und Verbraucherverbände das Urteil begrüßten, reagierten weite Teile der Wissenschaft sowie der Wirtschaft ernüchtert bis konsterniert.

Wissenschaft

Zahlreiche Forschungsorganisationen, Wissenschaftsakademien und Fachverbände haben inzwischen Positionspapiere zum EuGH-Urteil veröffentlicht. Sie alle eint der Aufruf an die Politik, die Gentechnik-Gesetzgebung in der EU im Hinblick auf die Genom-Editierung zu novellieren und die Regulierung von Pflanzenzüchtungen wissensbasiert und produktbezogen zu gestalten.

Wohl am detailliertesten ausgeführt wird das in einer Stellungnahme, die die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Ende 2019 veröffentlicht haben. Die pauschale rechtliche Einstufung als GVO berücksichtige nicht, welche Art der genetischen Veränderung im genom-editierten Organismus vorliegt. Dieser vorrangig verfahrensbezogene Regelungsansatz sei rational nicht zu begründen, kritisieren die Wissenschaftsakademien und DFG. Sie geben Empfehlungen, wie das europäische Gentechnikrecht kurzfristig novelliert und langfristig komplett neugestaltet werden kann.

Auch die Forschungsorganisationen hatten in diesem Sinne Stellung bezogen, so der Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft. Im Januar 2020 hatte sich der Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik und der VBIO mit einem Impulspapier an der Debatte beteiligt. Auch hier plädieren die Autoren für eine Anpassung der Gentechnikgesetzgebung sowie eine wissensbasierte und produktbezogene Regulierung von genom-editierten Pflanzen. Bereits im Sommer 2018 hatte der deutsche Bioökonomierat dafür plädiert, das Gentechnikrecht zu überarbeiten.

Wirtschaft

Im Oktober 2019 haben 23 Verbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft die deutsche Politik aufgefordert, in Sachen Genom-Editierung das veraltete EU-Gentechnikrecht an den Stand der Wissenschaft anzupassen und damit Rechtssicherheit im Agrarhandel zu gewährleisten. Bei der Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten sollte zwischen dem Vorsorgeprinzip und dem Innovationsprinzip zum Nutzen von Mensch und Umwelt abgewogen werden.

Zu den beteiligten Verbänden zählt die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), die BIO Deutschland, der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter wie auch der Deutsche Bauernverband.

Umwelt- und Verbraucherverbände

Die Umwelt- und Verbraucherorganisationen vertreten überwiegend die Ansicht, dass genom-editierte Pflanzen GVO sind und daher nach dem existierenden Gentechnik-Recht zu regulieren sind. Diese Position wurde bereits im Vorfeld des EuGH-Urteils in einem gemeinsamen Papier von NGOs und Ökoverbänden formuliert. Daher begrüßten Organisationen wie BUND sowie NABU das EuGH-Urteil. Es wird plädiert, den verfahrensorientierten Ansatz der Regulierung von GVO beizubehalten.

Die NGOs und Verbraucherorganisationen setzen sich für eine Kennzeichnung als Grundlage für Wahlfreiheit und Transparenz ein. Zudem berufen sie sich auf das Vorsorgeprinzip – und verweisen hier besonders auf mögliche Risiken, die zum Beispiel durch fehlerhafte Schnitte der Genschere CRISPR-Cas im Pflanzenerbgut vorkommen können.  

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Politische Entwicklungen auf EU-Ebene

Wie bereits dargestellt, hatte das Urteil des EuGH im Juli 2018 in Deutschland und in Europa sehr gemischte Reaktionen ausgelöst. Besonders die Wissenschaft und Teile der Wirtschaft fordertn nachdrücklich einen europäischen politischen Prozess mit dem Ziel, die Gentechnik-Gesetzgebung in der EU zu reformieren und an den technologischen Fortschritt anzupassen. Wichtigster Punkt: Bei Anwendungen der Genom-Editierung müsse zwischen denjenigen Verfahren unterschieden werden, die die natürlichen Mutagenese-Prozesse nachahmen, und solchen, die mehr Kontrolle erfordern.

Ein wissenschaftliches Beratungsgremium der EU-Kommission hatte Ende 2018 eine Stellungnahme veröffentlicht, die eine Überarbeitung der bestehenden europäischen Freisetzungsrichtlinie (2001/18/EG) für gentechnisch veränderte Organismen empfiehlt. Damit solle den aktuellen Erkenntnissen und wissenschaftlichen Nachweisen, insbesondere im Bereich Genom-Editierung, Rechnung getragen werden.

Damit war nun der europäische Gesetzgeber gefragt – die EU-Kommission, das EU-Parlament und der Rat der Europäischen Union. Im November 2019 kam auf europäischer Ebene Bewegung in den politischen Prozess: Der Rat der Europäischen Union, das politische Leitorgan der EU, hatte die EU-Kommission gebeten, in einer Studie die Konsequenzen des EuGH-Urteils zu klären und erforderliche Maßnahmen vorzuschlagen. Ende April 2021 hat die EU-Kommission die Ergebnisse dieser Untersuchung vorgelegt. Die Studie kam zu dem Schluss, dass das europäische Gentechnikrecht für manche der neuen genomischen Züchtungsmethoden nicht mehr zeitgemäß ist und entsprechend überarbeitet werden muss.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam in mehreren veröffentlichten Expertisen zu dem Schluss, dass hinsichtlich der Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt keine spezifischen Gefahren im Zusammenhang mit einer gezielten Mutagenese oder Cisgenese (Einfügen von DNA-Abschnitten aus derselben Art) bestehen. 

Regulierungsentwurf der EU-Kommission zur Novelle des Gentechnikrechts

Auf Basis dieser Ergebnisse wurde auf europäischer Eben eine Initiative angestoßen, um den Umgang mit neuen genomischen Techniken (NGT) neu zu regeln. Ein mehrjähriger Beratungsprozess mündete schließlich in einen Regulierungsentwurf zur Novelle des Gentechnikrechts, den die EU-Kommission am 5. Juli 2023 vorlegte.

Der Titel des Papiers lautet: Vorschlag für eine „Verordnung über mit bestimmten neuen genomischen Techniken (NGT) gewonnene Pflanzen sowie die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel“.

Im Kern führt der Verordnungsentwurf zwei Kategorien von Pflanzen ein, die mithilfe von NGT erzeugt werden und die unterschiedlich reguliert werden sollen:

NGT-Pflanzen der Kategorie 1: Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken vom Typ 1 erzeugt wurden, werden aufgrund ihrer vergleichbaren genetischen Veränderungen (Mutationen) sowie ihres vergleichbar niedrigen Risikoprofils konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgestellt. NGT-1-Pflanzen sollen laut Vorschlag vom Anwendungsbereich des Gentechnikrechts ausgenommen werden (Deregulierung). Demnach darf eine NGT-1-Pflanze nicht mehr als 20 genetische Veränderungen im Vergleich zur Ausgangspflanze aufweisen. Zum Einsatz dürfen sowohl gezielte Mutagenese (z. B. einfügen oder verändern von Nukleotiden) als auch Cisgenese (Einfügen von DNA-Abschnitten aus der gleichen Art) kommen. Die Pflanzen müssen die amtliche Sortenprüfung durchlaufen.


NGT-Pflanzen der Kategorie 2: Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken vom Typ 2 erzeugt wurden und daher komplexe Veränderungen des Genoms aufweisen, werden als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft und fallen unter das Gentechnikrecht. Das Zulassungsverfahren mit der Sicherheitsbewertung kann vereinfacht werden, wenn es keine „plausiblen Hinweise“ auf mögliche Risiken gibt. Zudem sollen die neuen Merkmale den Nachhaltigkeitszielen des European Green Deal entsprechen.

Welche zusätzlichen Bedingungen müssen NGT-1-Pflanzen erfüllen?

Über den genauen Wortlaut und die Ausgestaltung des Verordnungsentwurfs der EU-Kommission wird in den zuständigen europäischen Gremien und Instanzen noch verhandelt. Bereits der Entwurf der EU-Kommission vom 5. Juli 2023 enthielt besondere Anforderungen im Umgang mit NGT-1 Pflanzen:

  • Keine genom-editierten Pflanzen im Ökolandbau: NGT1-Pflanzen fallen wie herkömmliche GVO unter das Anwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung.
  • Saatgut-Kennzeichnung: Saatgut oder vermehrungsfähiges Material sollen eindeutig als Kat.1 NGT deklariert werden. Anhand dieser Informationen können Landwirte entscheiden, ob sie solche Pflanzen anbauen wollen oder nicht. Eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel aus NGT1-Pflanzen war im Entwurf nicht vorgesehen, darüber wird derzeit aber wieder debattiert.
  • Herbizidresistenz ausgenommen: Für herbizidtolerante NGT-Pflanzen soll es keine vereinfachte Zulassung geben.

Reaktionen auf den Entwurf

Der Regulierungsentwurf vom 5. Juli 2023 stieß insbesondere bei den Wissenschaftsorganisationen und diversen Wirtschaftsverbänden in Deutschland auf positive Resonanz. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina begrüßten den „wissensbasierten Vorschlag der EU-Kommission“. Der sorgsam austarierte Vorschlag für eine Gesetzesänderung „werde die Pflanzenforschung erleichtern und dazu beitragen, das große Potenzial der neuen Züchtungstechniken für eine nachhaltigere Landwirtschaft in Europa zu nutzen“.

In einer Adhoc-Stellungnahme im Oktober 2023 anlässlich der Debatten in Bundestag und Bundesrat bekräftigten die Forschungsorganisationen ihre Unterstützung. Unter anderem setzen sie sich dafür ein, NGT-1-Pflanzen auch für den Ökolandbau zuzulassen, da gerade dieser aufgrund des unzureichend zur Verfügung stehenden chemischen Pflanzenschutzes von genom-editierten Pflanzen profitieren könne.

Auch der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter begrüßte den Regulierungsentwurf. Im Sinne der Transparenz unterstützte man, dass im Rahmen der Sortenanmeldung über die Verwendung neuer Züchtungsmethoden informiert werde und diese Information in der beschreibenden Sortenliste öffentlich zugänglich seien.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßte den „pragmatischen Vorschlag“. In diesem Zuge müsse man allerdings auch die fragwürdige Praxis der Erteilung von Biopatenten stoppen. Auch der Biotechnologie-Branchenverband BIO Deutschland begrüßte den Entwurf und sprach von einer „guten Nachricht für die Pflanzenzüchtung und damit für unsere Gesellschaft“.
In ihrem Jahresgutachten 2024 empfiehlt die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung, im Europäischen Rat dem differenzierenden Vorschlag der EU-Kommission zuzustimmen.

Von den Umweltorganisationen und Vertretern des Ökolandbaus erntete der Kommissionsentwurf Kritik: Sie warnten vor der Deregulierung der Neuen Züchtungstechniken und beriefen sich vor allem auf das Vorsorgeprinzip. Sie setzen sich für eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermitteln aus NGT-1 Pflanzen ein. Zudem warnten sie vor möglichen patentrechtlichen Problemen für mittelständische Züchtungsbetriebe.

Zudem müssten wirksame Maßnahmen zur Koexistenz von Agrogentechnik und Betrieben, die gentechnikfrei arbeiten wollen, entlang der Wertschöpfungskette etabliert werden. Im November 2023 veröffentlichten 139 Verbände und Bündnissen aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft, dem Umwelt- und Verbraucherschutz das Positionspapier „Keine Deregulierung neuer Gentechnikverfahren“ (PDF-Download).

EU-Parlament-Abstimmung zu genomischen Techniken
Abstimmung zu New Genomic Techniques im Februar 2024

Die nächsten Schritte im Gesetzgebungsprozess

In der EU werden Gesetze erst dann rechtskräftig, wenn alle Institutionen – Parlament, Europäischer Rat und Kommission – ausgehend von den jeweiligen Mehrheitsbeschlüssen einen von allen akzeptierten Kompromissen ausgehandelt haben.

Im EU-Rat konnten sich die Mitgliedsländer bisher allerdings nicht mit qualifizierter Mehrheit auf eine Position einigen. Eine Einigung noch vor den Europawahlen im Juni 2024 gilt als gescheitert.

Im Februar 2024 wurde ein angepasster Vorschlag der EU-Kommission mit knapper Mehrheit vom Europäischen Parlament angenommen. Im April 2024 hat das EU-Parlament seinen Beschluss aus dem Februar noch einmal abschließend bekräftigt. Damit kann er auch vom neu gewählten Parlament nicht mehr geändert werden.

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Sicht der Verbraucher

Wie die Verbraucher genom-editierte Agrarprodukte wahrnehmen und wie sich die Haltung der deutschen Öffentlichkeit zur grünen Gentechnik derzeit darstellt, ist bis dato nur unzureichend mit Umfragen und qualitativ guten wissenschaftlichen Daten erfasst worden.

Das TechnikRadar 2020 mit dem Schwerpunkt Bioökonomie von der Technikakademie acatech und der Körberstiftung machte erstmals seit längerer Zeit (das Eurobarometer war 2010 eingestellt worden) wieder sogenannte sozialwissenschaftliche „Einstellungsdaten“ zur Gentechnik verfügbar. Darin wurde die Einstellungen zu zwei Züchtungstechniken untersucht – der klassischen Gentechnik und der klassischen Mutagenese-Züchtung. Die Genom-Editierung wurde hier aber nicht abgefragt. Die Grüne Gentechnik lehnten 57,5 % der Befragten ab. Interessanterweise stieß die Mutagenese-Züchtung durch Bestrahlung und Chemikalien auf noch stärkere Ablehnung (61,1%). Grüne Gentechnik wird im TechnikRadar als Risikotechnologie wahrgenommen. Zwei Drittel der Deutschen (66,4%) halten sie für eher oder sehr riskant, nur 20,9% nahmen sie als nützlich wahr.

Verschiedene Studien haben aber auch gezeigt, dass die Akzeptanz gentechnisch veränderter Pflanzen von der Art und dem Ziel der Veränderung abhängt. Ist mit einer gentechnischen Veränderung ein konkreter positiver Nutzen für Verbraucher und Verbraucherinnen oder die Umwelt verbunden, ist die Akzeptanz höher. Ebenso ist die Akzeptanz bei kleineren Veränderungen durch Genom-Editierung größer als bei transgenen Pflanzen. Insgesamt ist der Informationsstand der Bevölkerung in Deutschland über Gentechnik und Genom-Editierung sowie über den Nutzen gentechnisch veränderter Pflanzen für die Landwirtschaft gering (mehr dazu im EFI Gutachten 2024).

Im September 2023 wurde das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch veröffentlicht. Demnach sprachen sich 96 % der Befragten für eine Sicherheitsüberprüfung von Pflanzen aus, die mit neuen Verfahren gentechnisch verändert wurden. 92 % waren der Meinung, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen – unabhängig davon, ob neue Verfahren oder klassische Gentechnik angewendet wurden.

Weiterführende Beiträge zur Einstellung der Bevölkerung zur Grünen Gentechnik

Ortwin Renn: Die große Verunsicherung (Politik und Zeitgeschichte 2022)


Fünfter Gentechnologiebericht. Sachstand und Perspektiven für Forschung und Anwendung, Baden-Baden 2021 (PDF-Download via BBAW)


Angela Bearth: Von normalen und nicht normalen Erdbeeren – Wie neue Technologien von Konsumenten*innen bewertet werden (progressive-agrarwende.org 2023)